Geschichten und Geschichte


Heimaterde für den gefallenen Großonkel

Soldatenfriedhof in Russland
1942 fiel Wehrmachtssoldat Heinrich Lainck aus Wessum bei Stalingrad. 75 Jahre später macht sich Franz-Josef Viehöver auf die Reise zur Grabstelle.

Franz-Josef Viehöver mit einem Bild von Heinrich Lainck und Erde aus Wessum auf dem Soldatenfriedhof Rossoschka. Dort sind rund 60.000 bei Stalingrad gefallene deutsche Soldaten begraben
Für Franz-Josef Viehöver war klar, er musste zu diesem Grab. Zum Grab seines Großonkels Heinrich Lainck aus Wessum. Dass ihn tausende Kilometer von der letzten Ruhestätte trennen, das spielte für Viehöver keine Rolle. „Ich wollte einen Abschluss finden“, erklärt der 66-Jährige im Gespräch mit der Zeitung. Doch wir sind erst ganz am Anfang der Geschichte.
Am ersten Weihnachtstag 1942 fällt Wehrmachtssoldat Heinrich Lainck in Konaja bei Stalingrad, dem heutigen Wolgograd. 55 Jahre lang bleiben sein Todestag und seine letzte Ruhestätte unbekannt. Erst 1997 werden Laincks sterbliche Überreste in einem Massengrab an der Bahnstation in Konaja gefunden.

 

Erkennungsmarke
Der am 27. August 1912 geborene Soldat wird anhand seiner Erkennungsmarke identifiziert: „390 Ers.Kp.fürI.Reit.-Züge 6“. Franz-Josef Viehöver: „390 ist die Personalnummer. Der Rest steht für Ersatzkompanie für Infanterie-Reiterzüge 6.“ Heinrich Lainck wird auf dem Soldatenfriedhof in Rossoschka zur letzten Ruhe umgebettet.

Damals, 1997, war das Schicksal seines Großonkels nicht nur geographisch in weiter Ferne. Die Bande wurden erst enger, als Franz-Josef Viehöver begann, sich für Ahnenforschung zu interessieren. Der heute 66-Jährige wurde 1951 in Ahaus geboren und zog 1980 nach dem Studium mit seiner Ehefrau nach Regensburg. Doch den Kontakt zur alten Heimat hat er nie verloren.
„Wir kommen regelmäßig zu Besuch hierher.“ Viehöver stößt bei seiner Ahnenforschung auf Unterlagen vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Darin wird von der Bestattung von Heinrich Lainck auf dem Soldatenfriedhof Rossoschka berichtet. Lainck ist einer von zwölf Wehrmachtsangehörigen aus Viehövers Familienkreis. „Er war der Bruder meiner Großmutter.“

Aus den Unterlagen geht hervor, dass die Erkennungsmarke von Heinrich Lainck an die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht geschickt wurde. Viehöver: „Ich durfte als Angehöriger die Übergabe als persönliches Erinnerungsstück beantragen.“ Im Frühjahr dieses Jahres erhielt der Ahnenforscher die Metallplakette. „Aber ich wollte sie nicht für mich. Die Marke gehört auf den Hof in Wessum.“ Das war einer von vielen Gedanken, die Franz-Josef Viehöver kamen. Ein anderer war, die Grabstätte von Heinrich Lainck in Rossoschka zu besuchen. Der Zufall wollte es, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge eine Reise nach Wolgograd mit Friedhofsbesuch anbot. Viehöver meldete sich an.

Reise nach Wolgograd
Doch was sollte er für die Grabstelle mitnehmen? Der Entschluss fiel schnell: „Heimaterde. Dann sind sie endlich in der Heimaterde begraben.“ Mit „sie“ meint Viehöver einen weiteren bei Stalingrad gefallenen Wehrmachtssoldaten. Julius Wessling aus Graes, seinen Großonkel väterlicherseits. Auch Wessling, das brachte die Ahnenforschung zutage, liegt auf dem Soldatenfriedhof. Viehöver fuhr also von Regensburg nach Ahaus und packte Erde vom Acker vor dem Hof Lainck-Humberg in Averesch in eine Tupperdose und Erde aus Graes in eine weitere. Vom 4. bis 8. September machte er sich damit und gemeinsam mit 39 weiteren Reiseteilnehmern auf den Weg. Von München aus ging es mit dem Flugzeug nach Moskau, dort traf man sich mit einer Gruppe aus Frankfurt und reiste weiter nach Wolgograd. Dort kommt es auf dem Soldatenfriedhof zu höchst emotionalen Momenten. Die Grauen des Krieges, das Leid von Millionen Menschen spürt Viehöver hautnah.

Soldatenfriedhof
Gut 60.000 bei Stalingrad gefallene deutsche Soldaten sind auf dem kreisrunden Gräberfeld mit einem Durchmesser von 150 Metern begraben. Der Friedhof ist von einer Mauer umgeben. Auf den Granittafeln sind die Namen von geborgenen und identifizierten Gefallenen eingraviert. Viehövers Mitreisende legen an Tafeln Blumen und Kränze nieder, er verstreut – vor dem eingravierten Namen von Heinrich Lainck – als einziger Heimaterde. „Das war mir ganz wichtig“, sagt Franz-Josef Viehöver im Nachhinein. „Ich wollte bei der Ahnenforschung in Bezug auf die Wehrmacht einen Abschluss finden.“ Nicht nur symbolisch und 75 Jahre nach Heinrich Laincks Tod. Mitte Oktober übergab der 66-Jährige die Erkennungsmarke von Heinrich Lainck an die Nachfahren der Familie auf dem Hof in Wessum. Dieses Kapitel in der Ahnenforschung hat Viehöver endgültig zugeschlagen.

Halterner Zeitung 30.10.2017